Transkript
Einleitung
Herzliche willkommen zu Beziehungsmagie, sicher durch Liebe, Glück und Krise navigieren.
Ich bin Beatrice Wespi, Beziehungs- und Business Coach und ich freue mich riesig, dass du gerade meinem Podcast lauschst.
Heute tauchen wir ein in das Thema Bewertungen. Warum sind wir geneigt, so oft alles, jede und jeden zu bewerten? Was sagt das über uns und unsere Kultur aus? Was macht das mit unserer Partnerschaft, wenn wir uns gegenseitig immer wieder oder immer öfter bewerten. Mach es dir bequem, wir haben heute einiges zu entdecken.
Die Neigung zu bewerten
Die Neigung zu bewerten ist tief in unserer Kultur und Geschichte verankert.
Bewertungen helfen uns, die Welt zu ordnen und schnell Entscheidungen zu treffen. Dinge und Themen, die wir bewerten, sind schnell abgehakt und erledigt.
Lass uns herausfinden, woher diese Gewohnheit stammt.
Evolutionär gesehen war das schnelle Bewerten lebenswichtig. Unsere Vorfahren mussten schnell entscheiden, ob eine Situation sicher ist oder nicht. Diese schnellen Urteile waren überlebensnotwendig.
Es gibt jedoch auch spannende psychologische und kulturelle Erklärungen dafür.
So ist zum Beispiel unser Gehirn darauf programmiert, effizient zu arbeiten. Dazu gehört es, schnelle Entscheidungen basierend auf begrenzten Informationen zu treffen. Dies führt zu sogenannten kognitiven Verzerrungen wie zum Beispiel dem «Bestätigungsfehler». Dabei geht es darum, dass wir geneigt sind, Informationen zu bevorzugen, die unsere bereits vorhandenen Überzeugungen bestätigen. Oder es gibt auch den «Stereotypisierungsfehler», bei dem wir übergeneralisierte Annahmen über Gruppen von Menschen machen.
Weiter gibt es in vielen westlichen Kulturen einen starken Druck, schnell und effizient zu sein. Dies spiegelt sich auch in unserem Denken und Urteilen wieder. Die Fähigkeit, schnell eine Meinung zu formulieren, wird oft als Zeichen von Kompetenz und Entschlossenheit angesehen.
Wir könnten da auch noch über das Bildungssystem sprechen oder auch über die Art und Weise, wie Medien und öffentliche Diskurse geführt werden. Aber darauf möchte ich heute hier nicht eingehen.
All das kann einen Einfluss darauf haben, dass wir geneigt sind, vorschnell zu bewerten.
Die Kehrseite von Bewertungen
Doch Bewertungen haben auch klar eine Kehrseite. Sie können uns zu Vorurteilen und Stereotypen verleiten. Und ein ganz wichtiger Punkt wie ich finde, ist sich bewusst zu machen, dass wenn wir bewerten, wir uns am Status Quo festhalten und somit kein Wachstum möglich ist.
Aber gerade in Beziehungen ist Wachstum nicht nur eine Option – jedenfalls in meinen Augen – es ist eine Notwendigkeit. Wenn wir durch ständige Bewertungen und vorschnelle Urteile das Wachstum blockieren, setzen wir die Lebensfähigkeit und die Tiefe der Beziehung aufs Spiel. Eine Beziehung, die nicht wächst, riskiert zu erstarren und zu zerbrechen.
Wenn wir bewerten, sagen wir mit anderen «das ist es» oder «so ist es» und somit schliessen wir alle Türen. Neue Möglichkeiten haben da keine Chance. Schaffst du es oder schafft dir es hingegen weniger oder nicht zu bewerten, dann kommt wieder Fluss in das Thema, respektive in die Beziehung.
Gerne gebe ich euch dazu ein Beispiel. Wie immer sind die Namen völlig beliebig gewählt.
Tom und Klara sind schon seit mehreren Jahren zusammen und lieben sich sehr. Aber wie in vielen Beziehungen gibt es auch bei ihnen Momente der Spannung, die oft durch vorschnelle Bewertungen entstehen.
Klara kommt eines Abends aufgeregt nach Hause, weil sie bei der Arbeit eine schwierige Situation erlebt hat und sie beginnt ihre Frustration zu äussern und spricht dabei schneller und lauter als üblich.
Tom, der gerade einen langen, anstrengenden Tag hinter sich hat, nimmt Klaras Tonfall und ihre schnellen Worte als übertrieben wahr. Ohne auf den Inhalt ihrer Worte einzugehen, und unterbricht er sie mit den Worten «Du musst jetzt wirklich nicht so ein Drama daraus machen». Dieses Label «Drama machen» ist etwas, das Tom oft verwendet, wenn er das Gefühl hat, dass Klara überreagiert. Klara, die sich Unterstützung und zumindest ein offenes Ohr erhofft hatte, fühlte sich durch Toms Bewertung in ihren Emotionen abgewertet und nicht ernst genommen.
Ihr ursprünglicher Ärger über die Arbeitssituation mischt sich nun mit der Verletzung durch Toms Reaktion. Statt das Gespräch fortzusetzen, zieht sie sich zurück, was die emotionale Distanz zwischen den beiden weiter vergrössert.
Diese Art von Interaktion häuft sich und jedes Mal gibt es mehr Unausgesprochenes und es bauen sich mehr Missverständnisse zwischen Tom und Klara auf. Tom versteht nicht, warum seine Versuche, die Situation zu beruhigen, oft zum Gegenteil führen und Klara fühlt sich zunehmend isoliert und missverstanden in der Beziehung.
Das Problem hier ist nicht nur das vorschnelle Bewerten an sich, sondern auch die Art und Weise, wie solche Bewertungen die Kommunikation blockieren. Statt Klaras Bedürfnis nach einem emphatischen Zuhörer zu erkennen und zu erfüllen, setzt Tom seine Eigeninterpretation von übertrieben ein, was letztendlich beide voneinander entfernt.
Vielleicht kommt dir dieses Beispiel bekannt vor oder es zeigen sich gerade ähnliche Situationen aus deiner Beziehung.
Tipps zur Vermeidung von Bewertungsfallen
Auch beim Thema Bewerten geht es darum, die eigenen Muster zu erkennen und nach und nach zu verändern. Gerne gebe ich dir ein paar Fragen an die Hand, über die du gemeinsam mit deiner Partnerin oder deinem Partner oder auch alleine reflektieren kannst.
- In welchen Bereichen deines Lebens bist du besonders schnell mit Bewertungen?
- Gibt es Personen in deinem Leben, die du oft etikettierst?
- Wie können diese Bewertungen deine Beziehungen oder ganz konkret deine Partnerschaft beeinflussen?
Falls du dazu gerade keine Antworten hast, lege die nächsten ein zwei Wochen den Fokus darauf und reflektiere jeweils abends kurz, wo sich über den Tag verteilt solche Bewertungen gezeigt haben.
Nachdem wir gesehen haben, wie schnell Urteile zu Missverständnissen führen können, möchte ich dir nun einige Tipps geben, wie du diese Fallen in deinen eigenen Beziehungen vermeiden kannst. Hilfreich sind diese Tipps dann, wenn du bereits erkennst, was deine Bewertungsmuster sind. Also wenn du die Reflexionsfragen für dich bereits geklärt hast.
- Stopp und reflektiere: Nimm dir einen Moment, bevor du reagierst. Überlege, was wirklich hinter deiner Bewertung steckt.
- Die Zwei-Seiten-Methode: Betrachte jede Situation von verschiedenen Seiten, bevor du ein Urteil fällst. Es gibt immer verschiedene Perspektiven und gerade in der Beziehung oder in der Beziehung von Menschen hat jeder seine eigene Wahrheit.
- Führe ein Tagebuch: Schreibe deine Bewertungen und Gedanken dazu auf. Das hilft dir, Muster in deinem Denken zu erkennen und bei Bedarf zu verändern.
Die Geschichte vom alten Mann und seinem Pferd
Bevor wir heute abschliessen, möchte ich dir eine besondere Geschichte mitgeben, die auf wunderbare Weise das zu zusammenfasst, über was ich in dieser heutigen Folge gesprochen habe.
Diese alte chinesische Erzählung handelt von einem alten Mann und seinem Pferd und lehrt uns eine wichtige Lektion über das Urteilen und die Unvorhersehbarkeit des Lebens.
In einem Dorf in China lebte vor langer Zeit ein alter Mann. Er war sehr arm. Dennoch waren selbst die mächtigsten und reichsten Leute des Landes neidisch auf ihn. Er besass nämlich ein wunderschönes, weisses Pferd. Man bot dem armen, alten Mann gigantische Summen Geld für das Pferd. Der Mann aber sagte: «Dieses Pferd ist für mich nicht einfach nur ein Pferd, sondern es ist ein Freund für mich, wie könnte ich meinen Freund verkaufen?» Obwohl er es wegen seiner Armut manchmal schwer hatte und dieses Geld ihm ein ruhiges und abgesichertes Leben ermöglicht hätte, verkaufte er sein Pferd nie.
Eines Morgens aber war das Pferd verschwunden. Er fand es nicht in seinem Stall und auch die lange Suche in der Gegend blieb erfolglos. Die Leute des Dorfes versammelten sich bei dem Alten und tadelten ihn: «Du dummer, alter Mann, warum hast du bloss das Pferd nicht verkauft? Es war doch klar, dass so ein kräftiges Pferd eines Tages gestohlen wird. Jetzt hast du kein Geld und auch kein Pferd. Welch ein Unglück!» Doch der Alte blieb ganz ruhig. Er erwiderte: «Glück oder Pech? Wer weiss das schon? Urteilt nicht so schnell! Wer weiss schon, was noch passieren wird?» Die Leute lachten den alten Mann aus. Jetzt waren sie sicher, dass er ein wenig verrückt sei.
Aber fünfzehn Tage später hörte man plötzlich ein brausendes Hofgetrampel in dem kleinen Dorf. Das Pferd war gar nicht gestohlen worden, es war nur ausgebrochen und hatte sich auf die Suche nach einer Herde begeben. Jetzt kam es gefolgt von zwölf wunderschönen weissen Wildpferden daher getrabt und führte die Pferde direkt zum Haus des alten Mannes. Sogleich kamen die Leute des Dorfes wieder herbeigelaufen. Sie bekundeten «Du hattest Recht, es war ein Glück, dass dein Pferd abgehauen ist. Jetzt hast du zwölf Pferde!» «Ihr geht wieder zu weit mit eurem Urteil,» entgegnet der alte Mann gelassen. «Sagt einfach, das Pferd ist zurück! Dies ist nur ein Ereignis in einer endlosen Geschichte. Daraus kann man niemals die ganze Geschichte sehen: Glück oder Pech, Wer weiss das schon?» Dem mochte nun keinesfalls widersprechen. Aber die Leute dachten sich doch, dass der alte unrecht hatte. Zwölf herrliche Pferde waren nun sein Eigentum, das konnte doch nur ein Glück sein.
Der einzige Sohn des Mannes war ein kräftiger und feiner Kerl. Er begann nun die Wildpferde zu trainieren. Natürlich mussten sie sich erstmal an Menschen gewöhnen und noch vieles lernen. Doch sobald er zum ersten Mal versuchte, eines der Pferde zu retten, stürzte er schrecklich. Der junge Mann brach sich beide Beine. Wieder rannten sofort die Leute herbei und verurteilten sie sofort. «Welch ein Unglück! Du hattest tatsächlich wieder recht. Dein einziger Sohn wird dir jetzt für lange Zeit nicht mehr helfen und deinen Hof bestellen können, du bist ruiniert!» Der Alte runzelte ein wenig die Stirn, sprach dann aber geduldig: «Wieder urteilt ihr, das Leben besteht aus vielen, vielen kleinen Ereignissen. Das Ganze kann man daraus niemals beurteilen. Mein Sohn hat sich beide Beine gebrochen. Glück oder Pech? Das wird sich zeigen.»
Tatsächlich nahm die Geschichte wiederum eine Wendung. Es brach plötzlich ein schrecklicher Krieg aus. Alle jungen Männer wurden gezwungen, als Soldaten zu kämpfen. Die Leute jammerten und weinten, denn es war klar, dass der Krieg nicht zu gewinnen war. Die meisten der jungen Männer würden ihr Leben lassen. Nur, der Sohn des alten Mannes konnte mit seinen gebrochenen Beinen nicht in den Krieg ziehen. Die Leute waren ganz aufgeregt und riefen: «Du hattest tatsächlich wieder recht! Was für ein Glück, dass dein Sohn sich gerade jetzt die Beine gebrochen hat! So kann er zu Hause genesen, während unsere Söhne in diesen schrecklichen und sinnlosen Krieg ziehen müssen.» Der Alte lächelte milde und erklärte: «Glück oder Pech, wer weiss das schon? Das Leben ist doch ein ewiger Fluss von Ereignissen. Eine Sache führt immer zu einem anderen. Niemand von euch kann beurteilen, wohin alles das führen wird.»
Die Geschichte hat mich persönlich sehr angeregt, über meine eigenen Neigung nachzudenken, schnell zu urteilen und zu bewerten. Und ich wünsche mir, dass sie auch dich anregen wird.
Wie oft ziehen wir voreilige Schlüsse aus einer einzigen Erfahrung?
Der alte Mann in der Geschichte erinnert uns daran, dass das Leben aus Fragmenten besteht und dass wir selten das ganze Bild sehen. Sie gibt uns mit in unseren Urteilen bescheiden zu sein und uns zu öffnen für all die vielen Wendungen, die das Leben nehmen kann.
Ich bin mir sehr wohl bewusst, es fordert immer wieder Mut, im Fluss zu bleiben und sich nicht von voreiligen Schlüssen und Bewertungen leiten zu lassen. Auch mir gelingt es nicht immer.
Lasst uns aber diesen Mut aufbringen und versuchen, im Augenblick zu leben und zu wachsen, ohne zu schnell zu urteilen. Und gerade auch auf Beziehungen hat das eine, wie könnte es anders sein, magische Wirkung.
Vielen lieben Dank, dass du heute zugehört hast. Bewertungen sind ein tief verwurzeltes Verhalten, das, wie wir gesehen haben, sowohl nützlich, als auch hinderlich sein kann. Indem wir Sie uns gerade auch in unserer Partnerschaft bewusst machen, können wir viele neue Möglichkeiten einladen und die Beziehung so liebevoller gestalten.
Das war Beziehungsmagie für heute, ein herzliches Merci für deine Zeit und dein Vertrauen. Schön, dass du dabei warst. Wenn dir diese Episode gefallen hat, freue ich mich über ein Like, eine positive Bewertung oder auch über einen Kommentar, welche Erkenntnisse du aus dieser Episode ziehen konntest. Ich freue mich riesig, von dir zu lesen.
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